Der lange Gang - Kritik

Uwe Bolius
Der Lange Gang, Roman
Besprechungen
"Heinrich in den 40er Jahren. "Nur zweimal war Heinrich glücklich, zweimal in vier langen Jahren." Heinrich 1968. "Es gibt keine Idee mehr, für die zu sterben sich lohnt, aber tausend schöne Gründe, um zu leben."
Dazwischen liegt ein langer und harter Weg. Heinrich wird im Krieg geboren und wächst als vaterloses und eigentlich auch mutterloses Kind auf. Früh lernt er Schmerz und Einsamkeit kennen und weiß vom Nicht-Angenommensein. Er wird unglücklich erwachsen, weiß nicht recht, was er will, und auch nicht recht, was er nicht will. Über die Entdeckung seines Intellekts und der damit verbundenen Freiheit tut sich ein erster Weg zum Menschsein auf, über die Entdeckung seines Körpers findet er den Weg zur Vollständigkeit als Mensch und Mann.
Ein junger Mensch ohne Halt und geeignetes Vorbild, der sich seinen Weg selbst suchen muss, nicht auf Vorgefertigtes zurückgreifen kann und will und trotzdem nicht aufgibt - dieses Thema ist heute aktueller und brisanter denn je. Das ist vermutlich der Grund, warum sich der Leser so persönlich in diesem berührenden und schönen Buch wiederfindet und ich es jedem und jeder weiterempfehlen kann."
Merle Rüdisser
in: Tip - Die Innsbrucker Zeitung
Nr. 22, 02. 06. 2006

Uwe Bolius’ Roman „Der lange Gang“ ist eine Neuauflage aus dem Jahr 1983 und erzählt das Leben der Hauptperson Heinrich in der Form eines klassischen Entwicklungsromans.
Gezeichnet von den kargen und harten Nachkriegsjahren in Linz, erlebt Heinrich bei seiner Großmutter in Hamburg zum ersten Mal Zuneigung und ein Gefühl von Liebe. Die Kindheit konzentriert sich in Heinrichs Erinnerungen nur noch auf die Ferienzeit in Hamburg, eigentlich nur ein Ausschnitt seiner Kindheit, aber die einzige Phase, die man als unbeschwert bezeichnen darf. Er liebt seine Großmutter, die ihn vieles lehrt und lernt, und ihn auch den in Stalingrad gefallenen Vater ein wenig näher bringt.
Heinrich, der gewissermaßen spür- und merkbare Parallelen zum „Grünen Heinrich“ von Gottfried Keller im weitesten Sinne aufweist, ist ebenfalls ein Suchender, ein Wissensdurstiger, aber eben Einer, der sich ganz und gar nicht gut verkaufen kann. Uwe Bolius’ Heinrich ist ein Nachkriegskind, mit allen Unterdrückungen dieser Zeit und ebenso mit all dem Drang, auszubrechen, Mensch zu werden, Mann zu werden, zu lieben und zu lernen, oder einfach zu leben. Den Studienjahren widmet er in diesem Buch auch das längste Kapitel, wobei das längste nicht das intensivste sein muss, denn das ist dem letzten Kapitel über 1968 vorbehalten, das zugleich die Entwicklung finalisiert: Heinrich ist gereift, ist erwachsen geworden, hat die Sexualität gefunden, alles spät, aber nicht zu spät.
Uwe Bolius erzählt in diesem möglicherweise biographisch gefärbten Roman, anhand des Schicksals und der Entwicklung seiner Hauptfigur Heinrich, eigentlich eine typisch österreichische Nachkriegsgeschichte (es könnte auch durch den Hamburger Vater eine typisch deutsche Nachkriegsgeschichte sein), voller Tempo, Ideen und phasenweise atemloser Sprache.
Es ist ein spannendes und fesselndes Leseerlebnis mit manchmal bitteren Nachgeschmack, aber es bietet auch am Ende noch eine Option:
„Es gibt keine Idee mehr, für die zu sterben sich lohnt, aber tausend schöne Gründe, um zu leben.“
Rudolf Kraus
Onlineplattform "Buchkritik.at"
04. 08. 2006